Zweimal pro Jahr geht die bpb auf Studienreisen nach Mittel- und Osteuropa – im Oktober nach Aserbaidschan. Warum es wichtig ist, diesen Ländern offen zu begegnen, und was der Westen vom Osten lernen kann, beschreibt der Journalist Ingo Petz.
Aserbaidschan! Das Land des Feuers, der Teppiche, des Kaviars, das Land mit einer zur Besessenheit neigenden Gastfreundschaft. Das Land des Öls, der Korruption, das Land, das von einem notorisch autokratischen Familienclan regiert wird. Als ich 2004 das erste Mal in die südkaukasische Republik reiste, waberten lediglich diese Klischees durch mein Synapsennetz. Ich aber wollte mich auf dieses unbekannte Land einlassen, wollte es zunächst mit meinen eigenen Augen sehen – und nicht durch den Vorstellungsfilter von angelesenen Informationen. Denn häufig sehen Journalisten nur das, was sie erwarten.
Ich reise seit 1994 durch osteuropäische Länder. Deswegen hatte ich damals schon nicht mehr den Blick des träumerischen Reisenden, sondern desjenigen, der sich mit postsowjetischen Ländern, ihren vertrackten Demokratisierungsversuchen und den komplex- gebrochenen Geschichten, Kulturen und Biografien ihrer Einwohner einigermaßen auskannte. Damals war Aserbaidschan im Westen noch ein Fall für die geheime Riege der Konfliktforscher und Ölproduzenten. Kaum jemand schrieb über Aserbaidschan, auch nicht über Menschenrechtsverletzungen – was es dem Regime bekanntlich leicht machte, die Freiheiten in seinem Land sukzessive abzubauen. Obwohl es ein Mitglied des Europarates ist. Der Eurovision Song Contest (ESC), der in diesem Jahr am Kaspischen Meer stattfand, hat das Land bekannter gemacht, und man kann nur hoffen, dass der Westen nun etwas genauer gen Kaukasus schaut.
An der Promenade in Baku (Foto: bpb) |
In meiner Arbeit als Journalist war mir neben Berichten über Krisen, Kriege und Korruption auch wichtig, diese unbekannten Länder Mittel- und Osteuropas, ihre Kulturen und Brüche zu erklären – anhand von Geschichten und Lebenswegen, die den erhabenen Kampf der Menschen im Strudel dieser krisengeschüttelten Regionen zeigen. Ich wollte sie näher an uns heranbringen, denn auch das garantiert, dass uns nicht egal ist, was in Belarus, in der Ukraine oder eben in Aserbaidschan passiert. Mehr als die klassische politische Berichterstattung haben mich immer die Themen interessiert, über die man die kulturhistorischen Komplexitäten und Mentalitäten der postsowjetischen
Länder spannend erzählen kann.
In Belarus war das die kämpferische Rockmusik, die sich seit Mitte der neunziger Jahre Räume als Förderer von Werten der künstlerischen Freiheit und der zivilgesellschaftlichen Initiative schuf. In Aserbaidschan wurde es die Jugendbewegung, die sich von der klassischen, noch von der Sowjetunion geprägten Parteienopposition bewusst abzusetzen begann. „Die“ Opposition gibt es in autokratischen Staaten ohnehin selten. Sie unterscheidet sich diffizil in ihren Strukturen und Zielen. Und als Journalist ist es wichtig, diese Unterschiede deutlich zu machen.
In der Altstadt von Baku (Foto: bpb) |
Auch wir im sogenannten Westen müssen nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, der mittlerweile über 21 Jahre her ist, noch viel über Mittel- und Osteuropa lernen. Von den krisenerprobten Osteuropäern lernt man nicht nur Gelassenheit und Lebensgewandheit. Es ist wichtig, die Länder aus ihren eigenen Problemen und Kulturen heraus zu verstehen: das Revival der technokratischen neo-autokratischen Eliten und ihrer neo-sowjetischen Methoden wie in Russland, die Veränderung „oppositioneller“ Aktivität, die Frustrationen über den Westen, über die Verfehlungen von Demokratieversuchen und Privatisierungen. So lässt sich viel besser erläutern, wo Chancen für demokratische und freiheitliche Entwicklungen liegen.
In Aserbaidschan beispielsweise gibt es die Tradition einer libertär-aufklärerischen Bewegung, die sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts entwickelte und auf die sich auch die heutige Zivilgesellschaft beruft. Allerdings ist es dem Alijew-Regime in den letzten Jahren gelungen, den Wunsch nach gesellschaftlicher Aktivität bei den Menschen so weit einzudämmen, dass der kleine Kreis der Aktiven sehr klein und isoliert bleibt. In der Provinz ist man als „Oppositioneller“ nahezu auf sich allein gestellt.
Wer sich so lange mit autokratischen Staaten beschäftigt, lernt, dass Demokratie alles andere als eine Selbstverständlichkeit ist. Man lernt es zu schätzen, welche Freiheiten man genießt und unter welchen Widrigkeiten Oppositionelle in Belarus oder Russland für demokratische Werte kämpfen.
Meine Arbeit in Belarus brachte mich so auch dazu, mich zivilgesellschaftlich zu engagieren. Schließlich lebe ich als Journalist von den Freiheiten einer demokratischen Verfassung, und ich wünsche mir, dass meine Kollegen in Belarus oder Aserbaidschan ebenfalls unter freiheitlichen Bedingungen arbeiten könnten. In Belarus, wo die Demokratieförderungsarbeit durch Stiftungen im Land kaum noch möglich ist, ist es wichtig, dass sich auch Enthusiasten und Privatpersonen engagieren. Sie verfügen meistens nicht über die großen finanziellen Mittel, aber sie haben etwas anderes, das unbezahlbar ist beim Brückenbau zwischen Ländern und Kulturen: ein leidenschaftliches Herz, das nicht Gefahr läuft, die Flinte ins Korn zu werfen – wenn sich demokratische Entwicklungen in Osteuropa nicht von heute auf morgen einstellen.
Ingo Petz ist
freier Journalist und Buchautor. Als Journalist schreibt er vor allem
über Weißrussland. In diesem Jahr arbeitete er im Zuge des Eurovision
Song Contest in Baku für Reporter ohne Grenzen. Vor der Studienreise
nach Aserbaidschan traf er die bpb-Reisegruppe zum Gespräch im Rahmen
des Vorbereitungsseminars.
Dieser Artikel ist im aktuellen bpb-magazin erschienen www.bpb.de/magazin
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