Donnerstag, 25. Oktober 2012

Zu Gast in der Gemeinde Erkivan


Erkivan, 25. Oktober

Ein Protokoll von unserer Reisteilnehmerin Dr. Claudia Marwede-Dengg

Das Dorf Erkivan liegt im südlichen Teil Aserbaidschans, ca. 80 Kilometer nördlich der Grenze zum Iran, und gehört zum Bezirk (Rayon) Masalli. In der Gemeinde leben 16.000 Menschen, im Bezirk Masalli insgesamt rund 180.000.

Erkivan hat den Status einer „Staatssiedlung“ und verfügt über fünf Schulen, eine große Bibliothek und drei Kulturhäuser, von denen eins gerade renoviert wird. Vor allem der Sport spielt eine große Rolle: Es gibt fünf große Sporthallen, ein Zentralstadion und ein Olympisches Sportzentrum. Besonders stolz ist die Gemeinde auf ihre vier Europameister im Ringen.

Empfang durch Gemeindevetreter in Erkivan (Foto: M. Kluger)
Das Dorf ist an das Gasnetz des Landes angeschlossen – vor zwei Monaten wurden sämtliche Leitungen erneuert –, so dass inzwischen jeder Haushalt gasifiziert ist. Außerdem wurde eine Kläranlage gebaut. Es gibt rund 20 Wasserquellen – allerdings noch keine Kanalisation und jeder im Dorf ist in diesem Punkt für die eigene Versorgung selber verantwortlich. Telefon und Internet sind ebenfalls im Dorf verfügbar.

Der Gemeinderat besteht aus 13 Mitgliedern, in Erkivan sind alle Gemeindevertreter Männer, aber - so wurde uns versichert - in kleineren Kommunen gibt es auch Frauen in diesem Gremium. Der Rat kommt einmal im Monat zur Beratung zusammen, es wird ein Protokoll gefertigt und alle sechs Monate gibt es einen Bericht für die Wähler. Wie in allen Kommunen des Landes ist auch die Exekutive mit einem Vertreter im Gemeinderat vertreten.

Seit den letzten Kommunalwahlen hat das Gremium mehr Kompetenzen: Es kann die Initiative ergreifen und Vorschläge für Verbesserungen machen. Nach den Worten von Bürgermeister Tariyev gilt: „Was wir hier lösen können, lösen wir hier, den Rest leiten wir weiter“.

Die Gemeinde verfügt in bestimmtem Rahmen über ein eigenes Budget, z.B. durch eigene lokale Steuern (Grundsteuer, Eigentumssteuer, Pachtsteuer). Außerdem erhält die Gemeinde von der Exekutive pro Jahr einen Zuschuss in Höhe von 3000,- Manat. (Zum Vergleich: Das reicht gerade für 30 m Straßenpflasterung). Mehrere Gemeindevertreter beklagten im Gespräch, dass sie von den enormen Einnahmen aus dem Öl- und Gasgeschäft nicht profitierten, vor Ort komme kein Geld an. Ein weiteres Problem wurde eher schmunzelnd angesprochen: Die Steuerzahlerkultur sei nicht so stark ausgeprägt.

Die Region Masalli und damit auch Erkivan liegen in einer subtropischen Region mit relativ viel Regen. Wie schon in der Sowjetzeit ist die Gegend einer der größten Obst- und Gemüseproduzenten in Aserbaidschan und im Vergleich zum Landesdurchschnitt dicht besiedelt. Das zeigte sich bei der Privatisierung des Bodens und auch die Zahl der Kinder pro Familie liegt über dem Durchschnitt.

Wie in vielen landwirtschaftlichen Gegenden der Welt ist auch Erkivan mit dem Problem der Landflucht konfrontiert. Rund 20 Prozent der Jugendlichen wandern ab in die Stadt, weil es zu wenige Arbeitsplätze in der Landwirtschaft gibt. Wer bleibt, muss sich einen zweiten Beruf suchen, denn von der Landwirtschaft allein kann man nicht leben.

Neben der Landwirtschaft gibt es noch eine Stein- und eine Zementfabrik, Bäckereien, eine Geflügelzucht sowie eine Konservenfabrik. In jüngster Zeit gewinnt außerdem der Tourismus an Bedeutung. Die Hotels, die innerhalb der vergangenen Jahre gebaut wurden, sind wegen des guten Klimas zwischen Juni und September komplett ausgebucht, die Touristen kommen vor allem aus der Türkei.

Der Empfang unserer Gruppe durch die Gemeinde stand trotz langer Planung und Absprache nicht selbstverständlich: Der Rat stand unter massivem Druck der Exekutive und sollte das Treffen mit uns absagen. Trotzdem bereiteten die Mitglieder der Gemeinde der Gruppe einen sehr freundlichen Empfang in ihrem Ort.


 

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