Noch gestern Abend trafen wir den in New York geborenen Filmregisseur Joseph Cedar. Sein Film „Beaufort“, der auf der Berlinale mit dem Silbernen Bären ausgezeichnet wurde, ist von einer wahren Geschichte aus dem Libanonkrieg 1982 inspiriert worden, die in der Festung Beaufort in Südlibanon spielt. Nachdem wir einen Ausschnitt aus dem Spielfilm gesehen haben, spricht Joseph darüber, was ihn an dieser Geschichte so bewegt hat: vor allem die Sinnlosigkeit des Sterbens und die tiefe Kluft zwischen Befehlshaber und einfachen Soldaten, die ihr Leben sinnlos aufs Spiel setzen müssen.
Joseph Cedar |
Es ist nicht von ungefähr, dass das Gespräch mit Cedar gerade an diesem Abend stattfand. Um 20:00 Uhr ertönen wieder die Sirenen: es ist der Vorabend des Gedenktages für die gefallenen Soldaten – Yom HaSikaron. Insgesamt etwa 170.000 von ihnen verloren ihr Leben im Kampf um die Verteidigung des Staates. Wir stellen uns an einer zum Hotel nahegelegenen Kreuzung und sehen, dass anders als in Tel Aviv bei weitem nicht alle Passanten und Autos anhalten. Manche Autofahrer hupen ungeduldig. Ein paar Ultraorthodoxe überqueren demonstrativ die Straße. Da sie den Dienst in der Armee ablehnen und den Staat Israel nicht anerkennen, ignorieren sie auch den Gedenktag.
Am nächsten Morgen ist ein Besuch in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem vorgesehen. Wir brechen rechtzeitig auf, denn wegen der offiziellen Feierlichkeiten auf dem Soldatenfriedhof auf dem Herzl-Berg kann es leicht zu einem Stau kommen. Wir fahren dort vorbei und durch die Fenster sehen wir die Menschenmassen, die zum Friedhof strömen. Es sind vor allem die Familienangehörigen und Freunde der Gefallenen, aber auch Soldatinnen und Soldaten und viele Schüler, erklärt uns Hanni.
Der Eingang zur Gedenkstätte Yad Vashem |
Das auf einem Hügel gelegene Gelände der Gedenkstätte ist sehr groß. Außer der Hauptausstellung gibt es hier auch ein Archiv mit einer Bildungsstätte, ein Kunstmuseum, ein Kinder-Memorial, die Gedächtnishalle und eine große Buchhandlung. Ein Weg nach unten führt durch das Tal der Gerechten zum Tal der Gemeinden. Wir treffen viele andere Gruppen, auch Jugendliche. Doch die meisten Israelis verbringen den heutigen Tag bei Feierlichkeiten, die in ihren Städten und Gemeinden stattfinden, informiert uns der Historiker, Dr. Yaacov Lozovick, der uns durch das Museum der Geschichte des Holocausts führt. Das 1953 gegründete Museum wurde 2005 nach einem totalen Umbau wiedereröffnet und entspricht heute den höchsten Standards der modernen multimedialen Austellungsnormen. Da unsere Gruppe zu den Besuchern gehört, die mit der Thematik und der Geschichte der Shoah vertraut sind, legen die meisten von uns Ihre Aufmerksamkeit eher auf die Architektur des Gebäudes und die konzeptionelle Gestaltung der Ausstellung.
Das Gebäude hat einen äußerst symbolischen Charakter. Es ist entgegen einer noch von den Engländern erlassenen Vorschrift nicht aus dem üblichen gelben Sandstein, sondern aus grauem Beton errichtet. Es gehört nicht hierher, heißt es. Die Ausstellung befindet sich in einem dunklen unterirdischen Tunnel, der sich am Ende öffnet und in die Freiheit führt. Auch hier wird die Geschichte anhand individueller Schicksale gezeigt.
Das Ende des Museumstunnels |
Nach dem Besuch der Gedenkhalle und des Kinder-Memorials haben wir noch eine Stunde Zeit für Mittagessen und den Besuch in der bei dem Museum gelegener Buchhandlung oder in der Allee der Gerechten, bevor wir zum Tal der Gemeinden aufbrechen. Dort wird der jüdischen Gemeinden Europas gedacht, deren Mitglieder in den Konzentrations- und Vernichtungslagern ihren Tod fanden.
Ich glaube, dass es für uns alle der eindrucksvollste Moment in Yad Vashem ist. Wir gehen zu dem Stein, der der Berliner Gemeinde gewidmet ist. Ein Gedicht wird vorgelesen und ein Blumenstrauß auf den Stein gelegt. Dann kann jeder eine Rose dorthin legen, wo er möchte. Für mich, als Polin und Jüdin, bedeutet diese Stätte sicher etwas anderes, als für den Rest der Gruppe. Ich suche die Namen der Geburtsstädte meiner Eltern und lege dort kleine Steine. Dann lege ich meine Rose vor den großen Steinblock, der Warschau gewidmet ist. Ich würde gerne dort noch eine Weile alleine bleiben, um zwischen den Steinen zu wandern und nachzudenken, doch es geht nicht, wir müssen weiter…
Ein Gedicht für die jüdischen Gemeinden |
Auf dem Rückweg fahren wir noch über das Ben Gurion Viertel und steigen kurz an der Knesset aus. Auf dem Weg weiter zum Hotel sehen wir auch die Stelle, wo die Familienangehörigen von Gilat Shalit seine Freilassung aus der palästinensischen Gefangenschaft fordern. Gilat Shalit ist ein von der Hamas vor fünf Jahren in den Gaza-Streifen verschleppter Soldat.
Zelt der Familie Shalit |
Gut ergänzend zu unserem Besuch in Yad Vashem fand ich den Nachmittagsvortrag, in dem uns Uriel Kashi in die Bildungsarbeit der Gedenkstätte einführt und alle Möglichkeiten, uns mit dem im Internet zugänglichem Archiv vertraut zu machen, erläutert. Es sind Informationen, die für viele von uns wichtig sind.
Uriel Kashi |
Mit dem Einbruch der Dunkelheit geht der Gedenktag für die gefallenen Soldaten zu Ende und ein neuer Feiertag beginnt: der Unabhängigkeitstag des Staates Israel. Wir gehen ins Zentrum, um zu sehen was los ist. An allen größeren Plätzen wurden Bühnen aufgebaut, wo Konzerte stattfinden. In der Ben Yehuda Strasse – der Fußgängerzone Jerusalems – und auf dem Zionsplatz herrscht Gedränge. Die Stimmung ist fröhlich. Wie so oft in Israel, wo die Traurigkeit in die Freude übergeht…
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