Dienstag, 18. Januar 2011

Halbzeit: Bolivien ist auf dem Weg

Es gab Nachfragen. Was denn eine „cosmobiovisiòn“ sei, von der in dem in der Tat sehr kurzen Eintrag über den siebten Tag berichtet wurde? Wieso hier seit mehreren Tagen nicht mehr geschrieben worden sei? Und überhaupt, wohin sich denn nun Bolivien bewege, politisch, sozial, ökonomisch?

Auf die letzte Frage kann man nur entschieden zögerlich antworten: Bolivien ist auf dem Weg. Oder in den Worten unserer Gesprächspartner, die der Regierung Morales gewogen sind: Bolivien ist in einem notwendigen Wandel, in einem Prozess. Cambio, cambio, cambio. Okay, aber wohin soll der führen? Zum Sozialismus des 21. Jahrhunderts wie in Venezuela? Zurück zur vorkolonialen Zeit? Zu einer De-facto-Teilung des Landes in das indigen geprägte, ärmere Hoch- und das von den Nachfahren der Kolonialisten beeinflusste, reichere Tiefland, den sogenannten „media luna“? Welche Aussicht auch immer die Teilnehmer unserer Reise für Bolivien im Kopf hatten, eine klare Antwort auf die Frage konnten wir während der sechs Tage in dem Land nicht finden (auf eine der anderen übrigens auch nicht, aber dazu später mehr). Also: Warum sind gerade wir sonst so meinungsstarken Journalisten so unentschlossen in bezug auf Bolivien?

Weil es die derzeitige politische Lage nicht anders zulässt. Sie ist wegen des sogenannten „gasolinazo“ nicht mehr so eindeutig wie noch vor Weihnachten. Mit dem Gasolinazo-Dekret hatte Präsident Evo Morales vor kurz vor dem Jahreswechsel Energie- und Lebensmittelpreise anheben lassen, teilweise bis zu 80 Prozent. Ziel des Dekrets war, einerseits den Schmuggel von Benzin, Öl und Erdgas in die Nachbarländer einzudämmen. Andererseits Produzenten von Lebensmitteln mehr Einkommen zu verschaffen. Die Gründe für das Dekret sind das eine, die Beweggründe das andere. Denn es folgten Proteste und zwar nicht ausschließlich von Oppositionellen, sondern gerade auch von Morales‘ sonst gewogenen Bevölkerungsschichten, den „campesinos“, den Bauern, die fürchteten, nun noch weniger Geld zum Leben übrig zu haben als ohnehin schon. Schließlich sind sie auf ihre Autos und Lastwagen angewiesen, um ihre Produkte auf die lokalen Märkte zu transportieren, eine der Haupteinnahmequellen für sie.

Ergebnis der handfesten Demonstrationen: Präsident Morales nahm die Erhöhung der Kraftstoffpreise zurück. Weiteres Ergebnis des Streits um den „gasolinazo“: Selbst ein Experte der Opposition getraut sich noch nicht einmal zu mutmaßen, wie es mit der Regierung Morales weitergeht. Mehr noch: Victor Hugo Cárdenas, der von 1993 bis 1997 Vize-Präsident Boliviens war und selbst schon handfeste Auseinandersetzungen mit Regierungsanhängern hatte, sagte auf Nachfrage, auf gar keinen Fall dürfte die Regierung in dieser Situation abtreten. Sie müsse bei der nächsten Wahl im Jahr 2014 demokratisch abgewählt werden. Denn demokratisch sei sie auch ins Amt gekommen. Eine Haltung, die übrigens auch von Wahlbeobachtern und deutschen Diplomaten geteilt wird.

Ein weiterer Grund für die Fragezeichen über unseren Köpfen: Über die Ziele der Regierung Evo Morales hingegen gibt es unterschiedliche Vorstellungen. Da sind zum einen die sehr gewichtigen der Stammwähler, die der Bevölkerungsmehrheit der etwas schwammig Indigene genannten angehören. Schwammig, weil diese Mehrheit selbst aus 36 verschiedenen Gruppen, sogenannten Nationen besteht, von denen die Aymara, die Quechua und die Guaraní die am häufigsten Genannten und Größten sind. Diesen 36 Nationen ist der neue Name des Andenlandes gewidmet: Estado Plurinacional de Bolivia. Multinationaler Staat Bolivien. Dieser ging 2009 aus der Republica Bolivia hervor und wurde 2009 durch eine neue Verfassung begründet. Das Ziel dieses Staates ist, so haben es uns wiederkehrend und übereinstimmend unsere Gesprächspartner aus dem Regierungslager gesagt: Die Dekolonisierung des Landes voranzutreiben. Denn die oben erwähnten Stammwähler seien 500 Jahre unterdrückt worden. Seitdem Morales an der Macht sei, habe sich viel für diese unterdrückten Gruppen verändert, was genau, wusste jedoch niemand richtig zu sagen.
Andere Vertreter der Regierung jedoch favorisieren einen "Sozialismus des 21. Jahrhunderts", wie ihn Hugo Chavéz in Venezuela nach den Vorlagen von Heinz Dieterich anstrebt. Und wieder andere, wenige jedoch, sehen ihre Aufgabe darin, Imperialisten jeglicher Art, allen voran die US-Amerikaner aus dem Land und aus der Kultur zu halten.

Eine vortreffliche Gelegenheit, um die dadurch aufgerissenen Wissenskluften zu überbrücken, hätte eigentlich unser Treffen mit dem Außenminister David Choquehuanca Céspedes sein können. Der Minister wurde uns im Vorhinein unter anderem als enger Vertrauter des Präsidenten, vor allem aber „Schamane der Regierung“ vorgestellt – nicht von offizieller Seite natürlich. Beides sollte sich aber als ziemlich treffsicher erweisen, denn einerseits musste der Termin kurzfristig später beginnen – wegen eines Termins des Ministers im Präsidialamt. Andererseits wurde nach Choquehuancas Vortrag klar, dass sich mit europäischen oder „westlichen“ Prinzipien in Bolivien, zumindest derzeit sprichwörtlich kein Staat machen lässt. Denn das Leitprinzip, das der Außenminister als das wichtigste markierte, ist die sogenannte „cosmobiovisión“. Was genau das sei, wollten wir natürlich wissen. Das Wichtigste dieses Prinzips sei gut zu leben, so Choquehuanca, buen vivir. Nicht besser zu leben, sondern gut im Einklang mit der Mutter Erde, der pachamama. Aber eigentlich sage ihnen die wiphala alles („la wiphala dice“), die neue Flagge des Landes, die aber keine Flagge, sondern ein Code sei. Wofür, ließ der Minister dann leider unbeantwortet.

Mit diesen Eindrücken im Hinterkopf trafen wir an unserem letzten Abend in La Paz den deutschen Botschafter, Philipp Schauer, in seiner Residenz zu einem vertraulichen Gespräch. Danach machten wir uns auf den Weg nach Brasilien, in die Regenwaldakademie "Salve Floresta" nahe Sao Paulo. Dort gab es keinen Internet- und auch keinen Handyempfang. Dafür jede Menge Grün, Sonne und auch ein paar Verschnaufpausen. 

Unsere Schlafzimmer.

Ökologische Bildung durch Wandern.

Der See von Salve Floresta.

Das Haupthaus von Salve Floresta.


Dominik Schottner

1 Kommentar:

  1. Jetzt sollte das Kommentieren besser klappen, bitte einfach einmal versuchen. Beste Grüße

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