Samstag, 8. Januar 2011

Tag 1: "Brasilien ist nicht nur gut im Fußball, sondern auch in Zinsen."

Die Erkenntnis des ersten Tages hier auf unserer Studienreise durch Brasilien und Bolivien ist eine für manchen Teilnehmer überraschende: Lula ist nicht everybody's darling. Der ehemalige Präsident, der am 1. Januar dieses Jahres von Dilma Rouseff im Amt abgelöst wurde, ist nicht bei allen Brasilianern gut gelitten. Zum Beispiel bei unseren Gesprächspartnern an diesem ersten Tag unserer Reise, an dem wir in Sao Paulo auf erste Tauchfühlung mit dem Subkontinent gehen konnte.

Bevor wir besagte Gesprächspartner trafen, wurden wir jedoch in Sachen Corporate Design schnell von unserer Reiseleitung auf Linie gebracht, angeblich, damit niemand verloren ginge. Verlustmeldungen bis jetzt: ein Rucksack.


Programmpunkt Nummer 1 nach dem ersten Zählappell: Besteigung des Banespa-Turms der Santander-Bank, von wo aus man hervorragend sehen konnte, welchem Baumaterial man in Sao Paulo sehr oft den Zuschlag gegeben hatte, dem Beton nämlich. Nicht enden wollende Hochhausansammlungen, von geradezu winzigen Straßen getrennt, dazwischen Menschengewusel wie man es von Deutschland gar nicht kennt (und das obwohl die Stadt derzeit "leer" sein soll, wegen der Ferien)., Hubschrauber, die über den Dächern patroullieren, hohe Luftfeuchtigkeit und wider Erwarten gar nicht so hohe Temperaturen - sehr grob zusammengefasst war das der erste visuelle und auch olfaktorisch interessante Eindruck von der 20-Millionen-Metropole.



Später, nach einem ausgiebigen Mittagessen, gelangten wir dann zu unserer eingangs erwähnten, ersten Erkenntnis. Dass dazu erst einmal fast drei Stunden intensiven Zuhörens und Fragens und wieder Zuhörens und wieder Fragens nötig waren, fiel fast niemandem auf. Denn unsere Gesprächspartner der Handelskammer von Sao Paulo wussten uns jeder auf seine oder ihre Art sehr zu unterhalten und informieren.
Zum Beispiel Professor Roberto Macedo, Finanzdirektor der Handelskammer und Kolumnist. Er führte sehr plastisch und gut verständlich in die makroökonomischen Grundlagen Brasiliens ein und vergaß beim Thema Zinsen auch nicht, Brasiliens Nationalsportart Fußball miteinzubinden: "Brasilien ist nicht nur gut im Fußball, sondern auch in Zinsen. Wir schießen den Ball hoch und auch die Zinsen."



Auch Maria José Ribeiro von der Umweltabteilung der Kammer gestaltete ihren Vortrag plastisch. Neben beeindruckenden Zahlen zur Autoindustrie (12% der Autos fahren mit einem sog. Flex-Motor, der mit einem Gemisch aus Ethanol und Benzin läuft, in zwei Jahren sollen es mehr als 50% sein), lag ihr vor allem daran, den Willen der brasilianischen Bevölkerung zum Recycling zu unterstreichen. So produzierte zwar heute noch jeder Einwohner des Landes rund 1,5 Kilogramm Müll. Durch Abkommen und Sensibilierungskampagnen solle das, so Maria José Ribeiro, schon bald eine Zahl der Vergangenheit sein. Ein Beispiel, dass das funktionieren könnte, habe man bereits: die Aludosen. Nach einer Werbekampagne, in der die Bürger zur Rückgabe alter Büchsen animiert wurden indem man ihnen für jedes Stück Weißblech Geld versprach, würden heute nun bereits 80% der Aludosen recyclet. Allein die Firmen, die diese Wiederaufarbeitung leisteten, beschäfitgen rund 170.000 Menschen.

Schließlich durften wir unsere Ohren noch an den Worten von Moises Rabinovici wärmen, einem der bekanntesten Journalisten des Landes, einem ehemaligen Auslandskorrespondenten, der heute die Zeitung "Diario do Comercio" leitet. Das Blatt ist eine Besonderheit, ist es doch eine Tageszeitung, die einzig und allein für die Mitglieder der Handelskammer produziert wird. Und die müssen dafür noch nicht einmal einen Reais zahlen. Rabinovici steckte für uns in seinem Referat die brasilianische Presselandschaft ab, wobei schnell klar wurde, dass sie etwas noch nicht erlebt hat, was wir in Deutschland bereits zum Teil hinter uns haben: die Zeitungskrise. Während, so Rabinovici, die Todesrate von etwa US-Zeitungen unaufhörlich steige, seien in Brasilien bislang noch keine Zeitungen eingestellt worden und keine Menschen in großen Mengen entlassen worden. Ohne Zweifel aber hätten auch Medienhäuser in Brasilien damit zu kämpfen, dass kaum junge Leser nachkämen. Oder in Rabinovicis Worten: "Kinder werden ja schon mit Chips im Blut geboren."




Bei der anschließenden Fragerunde brillierte nicht nur unser Übersetzer (Foto oben), sondern es stand ein Thema klar im Vordergrund: Der Stabwechsel von Lula zu Dilma. Die drei Referenten waren sich in ihren Antworten ein ums andere Mal einig: Der ehemalige Präsident sei mit großer Sicherheit derjenige aller brasilianischen Staatsführer gewesen, der die meisten Massen mobilisieren konnte. Aber Korruptionsvorwürfe hätten die gesamte Amtszeit Lulas und auch darüberhinaus aus ihrer Meinung eben auch mitgeprägt. Die Zahlen sprächen zwar ebenfalls für Lula, so Professor Macedo, aber Lula habe nur eine günstige Welle erwischt - die zu nehmen aber auch nicht jeder könne.

Am Samstag geht es morgens um 6.45 Uhr weiter nach Santa Cruz in Bolivien.Ein Müdigkeitsloch ist noch nicht in Sicht.


Dominik Schottner

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.