Baku, 22. und 23. Oktober 2012
von unserer Reiseteilnehmerin Silvia
Zöller
Statt wie geplant bei einem Abendessen
im Restaurant „Old Baku“ am 22. 10.2012 sowohl mit Vertretern der
Oppositions-Zeitung und der regierungsnahen Medien sprechen zu
können, erschienen geladene Gäste der regierungsnahen Zeitungen
nicht. Lediglich Bahruz Guliyev, Chefredakteur der regierungsnahen
Zeitung „Ses“ begrüßte die Gruppe kurz, um sich dann wegen
eines anderen Termins wieder zu verabschieden. Er betonte, dass im
Zusammenhang mit dem Eurovision Song Contest viele falsche
Informationen über Aserbaidschan veröffentlicht worden seien und
begrüßte, dass wir uns vor Ort ein objektives Bild von der Lage im
Land machen wollen.
Natiq Adilov, Redakteur der
oppositionellen Zeitung Azadliq („Freiheit“) berichtete von den
Schwierigkeiten der zweitgrößten nicht-regierungsnahen Zeitung mit
einer Auflage von 8.000 Stück und einem Online-Portal, die sich
hauptsächlich durch die Unterstützung von NGOs, Spenden und dem
Verkauf finanziert. Werbekunden gebe es nicht, da Unternehmen
Repressalien fürchten, wenn sie in diesem Medium Anzeigen schalten.
Zudem hat Azadliq noch 50.000 Manat Schulden wegen
Entschädigungszahlungen, die aus verlorenen Gerichtsprozessen
resultieren, z.B. wegen angeblicher Verleumdung. Adilov sprach auch
von Cyberattacken der Regierung auf die Rechner der Azadliq. Auch die
inhaltliche Arbeit sei erschwert, da es große Probleme bei der
Beschaffung von Informationen gebe: Wenn man Hinweisen nachgehe, gebe
es nur wenige Quellen, deren Namen zum Schutz dieser Personen nicht
genannt werden können. Mit Offiziellen zu reden sei „schwieriger
als mit Gott zu sprechen“, so wörtlich. Es sei auch nicht
ungewöhnlich, dass Reporter und Redakteure oppositioneller Medien
von den regierungsnahen Zeitungen abgeworben werden: Dort würde ein
sehr hohes Gehalt gezahlt werden: „Uns wird dort Geld für das
Schweigen angeboten, nicht für das Schreiben“, so Adilov.
Shahveled Cobanoglu veröffentlicht als
freier Journalist auch bei Azadliq. Er hatte zuvor mehrere Zeitungen
gegründet, die von der Regierung geschlossen worden seien. Da er als
kritische Stimme gilt, hat er sich entschieden, nicht als Redakteur
bei der Azadliq zu arbeiten, da er sonst für diese Zeitung ein
ähnliches Schicksal befürchtet. Seinen Lebensunterhalt bestreitet
er durch Nebenjobs, zum Beispiel als Buchlektor. Er betonte, dass die
kritische Berichterstattung über Aserbaidschan im Zusammenhang mit
dem Eurovision Song Contest der Opposition sehr geholfen habe: „Das
hat uns Sauerstoff gegeben.“ Cobanoglu sagte, dass die Regierung zu
vielen Bereichen falsche Zahlen herausgebe.
Am Folgetag war die Gruppe zu einem
Besuch der Mediengruppe „Ses“ eingeladen. Veli Veliyev, Chef der
Holdinggruppe, berichtete, dass die Tageszeitung Ses in Aserbaidschan
mit einer Auflage von 5.000 Stück erscheint. Zudem gebe es eine
russische und englische Ausgabe – ob nur im Online-Auftritt oder
auch als gedruckte Ausgabe blieb offen - und den Online-Fernsehsender
„Ses-TV“ sowie eine Infoagentur, ein Sportportal und eine
Tourismusagentur, die allesamt zu der Ses-Gruppe gehören.
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Mitarbeiter der SES-Mediengruppe (Foto: M. Kluger) |
Veliyev
betonte, dass seit 1998 jegliche staatliche Kontrolle über die
Medien abgelegt worden seien. Ein Medienrat sei 2001-2003 zur
Entwicklung der Medien eingerichtet worden; 2006/07 sei eine Stiftung
zur Entwicklung der Medien gegründet worden, die unter anderem
Altschulden in Höhe von rund 600.000 Manat beglichen habe. Diese
Stiftung schreibe auch jährlich Wettbewerbe aus, für die die Sieger
des besten Projekts zwischen 30.000 und 50.000 Manat erhalten.
Dennoch hätten die Medien keinerlei Verpflichtung dem Staat
gegenüber. Es gebe auch keinerlei staatlichen Eingriffe, was die
Inhalte der 3.500 zugelassenen Zeitungen betrifft. Allerdings gebe es
im Land Fälle des „Räuberjournalismus“ und vor einem Missbrauch
des Journalismus müsse geschützt werden. Zur Besetzung der etwa 60
Mitarbeiter starken Mediengruppe führte Veliyev aus, dass es sich um
ein sehr junges Team handele, das fast zu 50 Prozent aus Frauen
bestehe, auch in Führungspositionen. Der Nachwuchs werde aus
Absolventen eines Hochschulstudiums Journalistik rekrutiert, wobei es
nicht leicht sei, professionelle Journalisten zu finden – der
Nachwuchs werde selbst in der Ses-Gruppe ausgebildet und anschließend
mit Jahresverträgen angestellt. Zur Berichterstattung über
Aserbaidschan im Zusammenhang mit dem Eurovision Song Contest
bedauerte Veliyev, dass ausländische Journalisten „falsche
Informationen aufgrund von Propaganda“ erhalten hätten. Durch die
negative Berichterstattung sei man im Land aber nicht beleidigt,
vielmehr sei es eine Aufgabe, die Medien mit Informationen zu
beliefern. Man wolle eine gute Zusammenarbeit.
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